Digitalisierung und Bildung – Alles eine Frage der Motivation

Von digitalen Medien wird einiges erwartet. Sie sollen die Schulen und Hochschulen zeitgenössischer, interaktiver, attraktiver und einfach besser machen. Motivieren sollen die Hoffnungsträger der Bildung auch noch! Doch was sagt die Forschung dazu? Wir haben mit Wissenschaftlern und einer Lehrerin über das (vermeintlich) motivationsfördernde Potenzial von digitalen Tools sowie über die Nutzungsbereitschaft gesprochen. Hört rein!

Die Interviewpartner dieses Hörbeitrags

Dr. Anne Thillosen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Leibniz-Instituts für Wissensmedien in Tübingen sowie Leiterin des Internetportals e-teaching.org. Auf dieser Plattform finden Dozenten, Mitarbeiter von Service-Einrichtungen und andere Interessenten wissenschaftlich fundierte Informationen und Ratschläge, wie digitale Medien in die Hochschulbildung integriert werden können. Über Online-Veranstaltungen, Themen-Specials und bereitgestellte Materialien können die Nutzer unterschiedliche Lehrszenarien, Medientechniken, didaktische Designs und vieles mehr kennenlernen und in der Community Erfahrungen austauschen.

Erfahrt mehr unter https://www.e-teaching.org/

Prof. Dr. Taiga Brahm ist Inhaberin des Lehrstuhls für Ökonomische Bildung und Wirtschaftsdidaktik an der Universität Tübingen und Teilprojektleiterin des Verbundforschungsprojekts „You(r) Study – Eigensinnig Studieren im ‚digitalen Zeitalter’“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Ziel dieses Projekts ist es, den individuellen Umgang und die Nutzungsmotive von Studierenden mit digitalen Medien innerhalb ihres Studiums zu erforschen. Taiga Brahm und ihr Team erhebt und untersucht die medienbezogene Selbstwirksamkeitserwartung von Studierenden. Das Forschungsprojekt wird am 28.02.2020 abgeschlossen.

Erfahrt mehr unter https://your-study.info/

Marie-Christin Haberland ist Lehrerin und Multimediaberaterin am Gymnasium Neckartenzlingen. Sie unterrichtet Geschichte, Gemeinschaftskunde, Ethik, Philosophie, Medienbildung Klasse 5 und Informatik Klasse 7.

Dr. Hanna Gaspard ist Senior Researcher und Nachwuchsgruppenleiterin am Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung in Tübingen. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen untersucht sie, wie sich die Motivation im Mathematikunterricht am besten fördern lässt. Konkret prüfen sie im Rahmen der Studie „Motivationsförderung im Mathematikunterricht“, kurz MoMa, Interventionsansätze bei Schülerinnen und Schülern der neunten Klasse. Die Studie basiert auf dem Erwartungs-Wert-Modell der Leistungsmotivation von Eccles et al. (1983).

Erfahrt mehr unter https://moma-tuebingen.de/

Thematisierte Studien im Hörbeitrag

Acatech & Körber Stiftung (2018). TechnikRadar 2018: Was die Deutschen über Technik denken. Abrufbar unter https://www.acatech.de/Publikation/technikradar-2018-was-die-deutschen-ueber-technik-denken/

Bertelsmann Stiftung. (2017). Monitor Digitale Bildung: Die Hochschulen im digitalen Zeitalter. Abrufbar unter https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/monitor-digitale-bildung-2/

Persike, M., Friedrich, J.-D. (2016). Lernen mit digitalen Medien aus Studierendenperspektive: Sonderauswertung aus dem CHE Hochschulranking für die deutschen Hochschulen. Arbeitspapier. Nr. 17. Berlin: Hochschulforum Digitalisierung. Abrufbar unter https://hochschulforumdigitalisierung.de/de/lernen-digitale-medien-studierendenperspektive

Musik im Hörbeitrag

„Fretless“ Kevin MacLeod (incompetech.com)
Licensed under Creative Commons: By Attribution 3.0 License
http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/

„Unwritten Return“ Kevin MacLeod (incompetech.com)
Licensed under Creative Commons: By Attribution 3.0 License
http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/

Theorien der Motivation

Selbstwirksamkeit

Der Begriff der Selbstwirksamkeit wurde vom Psychologen Albert Bandura geprägt. Es geht um die Überzeugung einer Person, eine Aufgabe erfolgreich bewältigen zu können. Laut Bandura wagt sich ein Mensch an einer Herausforderung, wenn er davon überzeugt ist, erfolgreich zu sein. Ausschlaggebend ist nicht die tatsächliche Fähigkeit, sondern ob die Person glaubt, erfolgreich zu sein. Zwei Dinge sind hier bedeutsam: Zum einen die Wirksamkeitsüberzeugung, also die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. Zum anderen die Ergebniserwartung. Hier versucht der Mensch, die Zukunft vorherzusagen und zu schätzen, welche Konsequenzen eine Handlung höchstwahrscheinlich haben könnte. Unsere Verhaltensentscheidungen basieren also auf subjektiven Prognosen und Erwartungen.

Mias Hände zittern. Ihr Chef hat ihr eine neue Aufgabe übertragen. Sie soll die Website neugestalten. Ihr Vorgänger, ein ehemaliger Kommilitone, scheiterte an der Aufgabe. Nun soll sie es versuchen. Ihre Hände schweben über der Tastatur und die Zahlen und Buchstaben auf dem Bildschirm verschwimmen: Ich habe das noch nie gemacht. Das ist nicht mein Ding. Was ist, wenn ich das versaue? Der Chef war ja schon mit Jonas nicht zufrieden. Ich kann das nicht. Letztes Mal lief‘s ja auch nicht so gut. Das war’s dann wohl. Ich bin einfach zu blöd und unkreativ für so was. Mia steht auf und flüchtet in die Teeküche.

Mia ist nicht davon überzeugt, die Aufgabe zu schaffen. Sie versucht es gar nicht erst. Was könnte helfen?

  • Positive eigene Erfahrungen: Leider rutschen Menschen wie Mia schnell in einen Teufelskreis. Wenn sie sich wenig zutrauen, erleben sie selten Erfolgserlebnisse. Wenn sie sich jedoch häufig herausfordern und Erfahrungen sammeln, dann merken sie: Ich kann es ja doch. Mit dieser Erkenntnis trauen sie sich dann an noch größere Herausforderungen. Dann verschwindet so mancher Misserfolg hinter den Erfolgen. Dennoch gilt: Vorsicht vor Überschätzung! Denn Misserfolge versetzen der Selbstwirksamkeitserwartung einen gehörigen Dämpfer.
  • Positive Vorbilder suchen: Statt sich an Personen zu orientieren, die an der Aufgabe scheiterten (wie Jonas), sollte man Personen suchen, die ähnliche Tätigkeiten meistern und einem selbst ähnlich sind. Das stärkt die eigene Überzeugung, dass man das selbst auch kann. Wenn die das können, dann kann ich das auch!

Für andere theoretische Ausrichtungen ist dieser Schwerpunkt auf die Selbstwirksamkeit zu undifferenziert und einseitig. Selbstwirksamkeit sei zwar ein wichtiger Faktor, jedoch nicht der einzige.

Erwartungs-Wert-Theorien

Die Erwartungs-Wert-Theorien berücksichtigen ebenfalls die Erfolgserwartung einer Person. Dazu kommt jedoch noch das subjektive Wertempfinden. Wir sind motiviert und wollen die Aufgabe in Angriff nehmen, wenn wir davon überzeugt sind, die Aufgabe zu meistern und wenn die Aufgabe wertvoll für uns ist. Eine Aufgabe hat für uns einen Wert, (1) wenn sie uns für unsere Ziele nützlich erscheint, (2) wenn die Aufgabe per se unser Interesse weckt und uns Spaß macht, (3) wenn es uns wichtig ist, die Aufgabe gut zu erfüllen und (4) zuletzt hängt der empfundene Wert einer Aufgabe davon ab, mit welchem Aufwand und welchen negativen Konsequenzen wir rechnen.

Für Mia ist die Webseitengestaltung ein Dorn im Auge. Sie hat viel wichtigere Projekte, für die ihr nun die Zeit fehlt. Außerdem ist die Webseitengestaltung frustrierend. Diese nervigen Tools. Es ist einfach eine schreckliche Kleinarbeit. Und überhaupt: Der Traffic der Webseite ist gering. Kaum jemand wird ihre harte Arbeit letztendlich bemerken.

Bei Mia hakt es nicht nur an ihrer Erfolgserwartung. Die Aufgabe hat für sie auch keinen Wert. Um ihre Motivation aus dem Tief zu holen, muss sie sich überlegen, warum die Tätigkeit sinnvoll und wertvoll für sie sein kann. Inwiefern ist es nützlich für ihre Karriere, dass sie am Ende diese Tools beherrschen kann? Gibt es nicht doch etwas, was sie an der Arbeit interessiert? Inwiefern helfen ihr diese Erfahrungen für ihre anderen Projekte? Wenn Mia einen Wert in der Aufgabe finden konnte und ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugung gestärkt hat, dann ist sie motiviert(er).

Selbstbestimmungstheorie der Motivation

Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation von Deci und Ryan geht davon aus, dass es nicht nur um das Maß an Motivation geht, sondern auch um die Art der Motivation. Der Mensch hat angeborene psychologische Bedürfnisse. Er strebt nach Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung. Genauer gesagt: nach Autonomie, Kompetenz und Sozialer Eingebundenheit. Wir sind also zu einer Aufgabe motiviert, wenn wir uns dadurch mit anderen Personen verbunden sowie uns frei und fähig fühlen.

Behält man diese Bedürfnisse im Kopf, so kann man zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation unterscheiden. Man ist intrinsisch motiviert, wenn man das Gefühl hat, die Aufgabe frei gewählt zu haben und sie mit den eigenen Zielen und Interessen in Einklang steht. Die Motivation kommt von innen. Extrinsische Motivation kommt von außen. Der Mensch begeistert sich nicht an der Aufgabe oder Handlung selbst, sondern nutzt sie instrumentell, um zu einer anderen Konsequenz zu gelangen oder ist gezwungen, sie auszuführen.

Intrinsische und extrinsische Motivation sind keine Gegenspieler. Es wäre falsch zu sagen, dass intrinsische Motivation die „gute“ und extrinsische die „schlechte“ Motivation ist. Jedoch ist die extrinsische Motivation stark abhängig von den externen Reizen und somit eher instabil. Sobald die Anreize wegfallen, ist auch die Motivation weg. Außerdem zeigten sich Unterschiede in der Qualität der Handlungsergebnisse zugunsten der intrinsischen Motivation. Ein extrinsisch motivierter Mensch macht nur so viel wie nötig – nicht mehr. Eine Begleiterscheinung sind außerdem negative Gefühle wie Stress oder Angst.

Was bedeutet das für Mia? Wenn überhaupt, dann ist sie extrinsisch motiviert. Ihr Chef erwartet, dass sie die Aufgabe erfüllt. Wenn nicht, dann wird sie zur Schnecke gemacht, wie ihr ehemaliger Kommilitone. Schlechte Zeichen für die Qualität ihrer Arbeit und ihren emotionalen Zustand. Jedoch kann sich Mia dem Zustand der intrinsischen Motivation annähern.

Extrinsische Motivation kann sich zu eigen gemacht werden. Sie kann internalisiert und integriert werden. Diese extrinsische Verhaltensregulation hat vier Stufen. Die erste Stufe ist die externale Regulation. Hier ist eine Person ausschließlich durch Reize, wie Belohnung oder Bestrafung, von außen motiviert. Mia macht es nur, weil sie sich vor den mahnenden Worten des Chefs fürchtet. Gehen wir eine Stufe höher. Die introjizierte Regulation. Hier handelt eine Person, weil es das innere Stimmchen so sagt. Die Motivation kommt zwar von innen, doch sie ist erzwungen. Die Stimme im Ohr sagt einem, dass man eine Handlung tun soll, da es sich so gehört und man sich ansonsten schämen müsste. Hier spielt die Verinnerlichung von gesellschaftlichen Erwartungen eine große Rolle. In Mias Fall könnten das Gedanken sein wie: Du tust, was dir aufgetragen wurde! Anweisungen hat man Folge zu leisten! Du wirst dich nicht drücken! Tu es, sonst riskierst du, arbeitslos zu werden! Was würde deine Familie denken? Die nächste Stufe ist die identifizierte Regulation. Hier hält man die Handlung selbst für wichtig und identifiziert sich mit dem Ziel. Obwohl Mia von der Webseitengestaltung selbst nicht so begeistert ist, erkennt sie doch, dass es ihr für ihre Karriere, die sie so gerne vorantreiben möchte, nützlich sein könnte, da sie sich die Gunst ihres Chefs sichern kann. Die Handlung richtet sich auf etwas, wovon die Person innerlich überzeugt ist. Sie handelt authentisch. Zuletzt gibt es noch die integrierte Regulation mit dem höchsten Grad an Selbstbestimmung. Der Mensch hat die Ziele und Normen in das eigene Selbstkonzept integriert und macht die Aufgabe in großen Teilen freiwillig. Der Unterschied zur intrinsischen Motivation ist, dass der Mensch der Handlung dennoch eine instrumentelle Funktion zuschreibt. Es geht hier also eher um das Handlungsergebnis und weniger um die Handlung selbst.

Fassen wir zusammen: Ein Mensch ist motivierter und bereit, eine Aufgabe zu beginnen, wenn er von seinen eigenen Fähigkeiten überzeugt ist und die Aufgabe selbst für sinnvoll und nützlich erachtet. Motivation ist nicht gleich Motivation. Intrinsisch Motivierte erfreuen sich an der Aufgabe selbst und führen sie freiwillig aus. Extrinsisch Motivierte tun das nicht. Sie machen es nur, weil sie dafür etwas bekommen, wie Geld oder Anerkennung (positive Anreize) oder weil sie dadurch Zwänge oder Bestrafungen wie Abmahnungen (negative Anreize) verhindern. Doch auch die extrinsische Motivation kann sich zu eigen gemacht werden, in dem man den Wert für sich entdeckt. Wenn Mia dies getan hat und an ihre eigenen Fähigkeiten glaubt, dann gibt sie nicht so schnell auf. Sie arbeitet hartnäckig und ausdauernd an ihrer Aufgabe – und kann entdecken, wozu sie fähig ist.