Digitale Helfer sind für uns zu ständigen Begleitern geworden. Der Komfort, den Smartphone, Laptop und Co. liefern, ist kaum noch aus unseren Leben wegzudenken. Termine merken und Fakten googeln helfen uns nicht nur im Alltag, sondern auch in der Arbeitswelt. Doch geben wir zu viele Aufgaben ab, vernachlässigen wir die Fähigkeiten unseres eigenen Gehirns. Wie viel Arbeit können wir guten Gewissens abgeben? Ab wann verlernen wir das eigenständige Nachdenken und wann verlässt uns unsere Merkfähigkeit, wenn wir sie nicht mehr verwenden?
Das Gehirn vertraut darauf, dass Daten, die für uns bedeutsam sind, auf Festplatten oder in Clouds sicher gespeichert sind – und vergisst sie selbst. Dieser Verlust der Merkfähigkeit nennt sich der „Google-Effekt“ (Betsy Sparrow). Dies lässt vermuten, dass durch die vermehrte Nutzung von digitalen Medien eine Veränderung im Gehirn der Nutzer stattfindet. Der kontrovers diskutierte Psychiater Manfred Spitzer sieht genau in diesem Vorgang die Gefahr der Verflachung und Vergesslichkeit des technikaffinen Menschen. Dem Menschen drohe eine „Digitale Demenz“.
Dass die wiederholte Nutzung digitaler Medien für eine Veränderung in unserem Gehirn sorgt, schließt der Neurowissenschaftler Michael Madeja jedoch aus. Jede vom Menschen ausgeübte Tätigkeit verändere den inneren Aufbau des Gehirns, jedoch seien diese Veränderungen so gering, dass man sie mit den heutigen Methoden der Hirnforschung nicht erfassen könne. Damit hat die Nutzung technischer Helfer zwar einen Einfluss auf uns, jedoch kann man Veränderungen im Gehirn nicht allein auf digitale Medien zurückführen. Es gebe keinen Zusammenhang zwischen der Nutzung digitaler Medien und krankhaften Veränderung im Gehirn eines Menschen. Schon die Begrifflichkeit der digitalen Verweigerer stößt auf Kritik. Der Tübinger Professor für Kognitive Neurologie Hans-Peter Thier ist der Meinung, dass der Begriff „Digitale Demenz“ verfehlt sei, da unter einer Demenz aus medizinischer Sicht der Verlust von ursprünglich verfügbaren kognitiven Fähigkeiten gemeint ist.
Die Entlastung unserer Gehirne sei aber nicht nur harmlos, sondern könne sogar positive Aspekte mit sich bringen. Diese Meinung vertreten auch die Forscher Ben Storm und Sean Stone von der University of California. In einer Reihe von Experimenten konnten sie die positiven Seiten des Phänomens „Google-Effekt“ belegen. Ist das Wissen auf einer alternativen „Festplatte“ gespeichert und nicht nur in unserem eigenen Gehirn, falle es leichter neue Informationen neben den schon gespeicherten zu lernen. Außerdem steigere das Vergessen von unnötigem Ballast das kreative Denken. So sieht auch Gary Small, ein Gedächtnisforscher der University of California die digitalen Hilfsmittel als Möglichkeit der Optimierung einer schon vorhandenen Tendenz des Gehirns zur Arbeitsteilung.
Da die Nutzer digitaler Medien immer jünger werden, muss man sich fragen, ob die Technik, mit der wir tagtäglich umgehen, auch für noch nicht vollständig ausgebildete Gehirne unschädlich ist. Sinneserfahrungen sind bei der Entwicklung eines jeden Kindes und dessen Gehirns von großer Bedeutung. Diese bleiben beim Spielen mit digitalen Medien zum größten Teil aus. Die leuchtenden Bildschirme sprechen hauptsächlich unseren Sehsinn an. Andere Sinne, wie der Geruch- oder Geschmackssinn kommen nicht zum Einsatz. Michael Madeja betont, dass Kinder mit den Informationen aus digitalen Medien schlechter umgehen können als Erwachsene, da Teilsysteme des Gehirns noch nicht voll funktionsfähig und ausgereift seien. Außerdem zeige ein Kind, das viel Zeit vor dem Bildschirm verbringt, ein erhöhtes Risiko für schlechtere Schulleistungen, Schlafstörungen und Aufmerksamkeitsprobleme. Zur Mediennutzung sagt Manfred Spitzer: „Meiden Sie die digitalen Medien. Sie machen, wie vielfach […] gezeigt wurde, tatsächlich dick, dumm, aggressiv, einsam, krank und unglücklich.“ Klaus Peter Janke, Abteilungsleiter für Kindermedien am Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie (IDMT) sieht dies als Forderung, die viele Eltern unnötig verunsichert und Jugendlichen entscheidende Perspektiven verbaue. Laut Madeja sei ein komplettes Verbot aber auch keine Lösung, da Kindern lernen müssen mit digitalen Medien umzugehen. Er empfiehlt, Kleinkinder nicht dem Computer oder Fernsehen auszusetzen und bei etwas älteren Kindern die Nutzungszeit zu begrenzen. Der Computergebrauch führe nicht, wie von Kritikern behauptet, zwangsläufig zur Verdummung der Kinder, sondern könne bewusst eingesetzt auch beim Lernen helfen.
Im Manifest „Keine Bildung ohne Medien“, das von bedeutsamen Institutionen in ganz Deutschland unterstützt wird, heißt es: „Medien bieten Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und zur kulturellen und gesellschaftlichen Teilhabe. Darüber hinaus liefern Medien wichtige Deutungsangebote, Identifikations-, Orientierungs- und Handlungsräume. Sie sind eine kontinuierlich verfügbare Ressource für Identitätskonstruktionen von Heranwachsenden.“
Neben Kindern ist aber auch der Effekt digitaler Medien auf ältere Nutzer interessant. Anstatt die Wirkung auf das Gehirn mit einer Demenz zu vergleichen ist auch hier eher das Gegenteil angemessen. Die Nutzung kann bei älteren Menschen vorwiegend positive Effekte haben. Laut Madeja gebe es erste Hinweise darauf, dass das Surfen im Internet eine Alzheimer-Erkrankung vorbeugen kann. Außerdem helfen sie beim Erhalten von Sozialkontakten und verhindern so, dass sie vereinsamen.
Die Furcht vor einer „digitalen Demenz“ wird daher von vielen Forschern als unbegründet eingestuft. Durch bewusste und angemessene Nutzung digitaler Medien bietet die Digitalisierung einen großen Nutzen und viele Chancen. Man muss sich der Risiken übermäßigen Gebrauches bewusst sein, darf sich jedoch nicht nur auf die negativen Seiten fokussieren.